Sozialkapital in Bildungslandschaften

22.08.2022

Von nützlichen Kontakten und gemeinsamen Projekten

von Ronald Langner und Christine Steiner

„Netzwerken“ lebt davon, nicht nur auf möglichst viele, sondern gerade auf vielfältige Beziehungen aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen und Zusammenhängen zurückgreifen zu können, aber auch davon, neu hinzukommende Beteiligte zu integrieren und Gelegenheiten zum Austausch zu bieten. Nur so kommt man, neben neuen Kontakten, auch zu neuen Ideen und Anregungen. Allerdings: „Netzwerken“ ist nicht umsonst. Es bedarf des Einsatzes von Ressourcen wie Zeit und Arbeitskraft bzw. Engagement.

In theoretischen Konzepten zu „nützlichen Beziehungen“ bzw. zu sozialem Kapital und sozialen Netzwerken wird bereits seit langem darauf aufmerksam gemacht, dass spezifische Aspekte sozialer Beziehungen auch über bestehende Kontakte hinausreichen können und so für die Umsetzung von bestimmten Zielen von Vorteil sind. Erinnert sei hier an die Ursprünge dieses Forschungsfeldes, wie die Untersuchungen von James Coleman (1988) zur Einbettung („embeddedness“) in unterstützende Beziehungsnetzwerke, oder an Mark Granovetter (1973), der zwischen starken und schwachen Bindungen unterscheidet und dabei den schwachen Bindungen eine besondere Stärke für den Informationsfluss und die Planung gemeinsamer Aktionen und Aktivitäten beimisst. Ganz ähnlich Robert Putnam (2000), der zwischen verbindendem und überbrückendem Sozialkapital differenziert. Dem überbrückenden Sozialkapital schreibt Putnam eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Akzeptanz, Toleranz und Vertrauen zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen zu. Letztlich geht es darum, ob die Beziehungen ein verbindendes Element zwischen Personen und / oder Organisationen in ähnlichen sozialen Ausgangslagen darstellen oder ob soziale Beziehungen auch (oder vor allem) die Unterschiede zwischen untereinander unähnlichen Partner*innen überbrücken können. Man kann es auch so formulieren: Es geht um die Offenheit und um die Verbindlichkeit von sozialen Beziehungen und Netzwerken.

Im Jahr 2002 stelle die Enquete Kommission zur Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagememts in ihrem Abschlussbericht heraus, dass bürgerschaftliches Engagement eng mit der Bildung von Gemeinschaftlichkeit, gegenseitigem Vertrauen und gesellschaftlicher Teilhabe verbunden ist und so „(…) zur Bildung von Sozialvermögen oder sozialem Kapital“ beitrage (Kommission 2002). So  gesehen stellt soziales Kapital ein gemeinschaftliches Gut dar, dass durch die Befähigung der Menschen entsteht, soziale Beziehungen mit anderen einzugehen und diese aufrechtzuerhalten; oder anders gesagt: Soziales Kapital entsteht (inter-)aktiv im gemeinschaftlichen und alltäglichen Umgang miteinander, sei es im privaten Umfeld oder in Internet-Communities, im freiwilligen Engagement, oder in Arbeitszusammenhängen. Sozialen Netzwerken wird hierbei eine wichtige Rolle bei der Ausbildung von sozialem Kapital zugeschrieben, da sie Verbindungen zwischen Personen und / oder Organisationen herstellen können, die bisher keinen Kontakt zueinander hatten.

In diesem Verständnis lassen sich Bildungslandschaften als Netzwerke beschreiben, in die ganz verschiedene regionale Bildungsakteure mehr oder weniger stark eingebunden sind, auch wenn in der Debatte um Bildungslandschaften die Steuerungs- und Koordinierungsmöglichkeiten der Kommunen gegenüber einer partizipativen (Mit-)Gestaltung und Entwicklung des kommunalen Bildungsbereichs durch Kommune und Zivilgesellschaft stärker betont werden (Steiner et al. 2022). So trat im Verlauf der Datenanalysen der ZivilKoop-Studie die Bedeutung von sozialen Beziehungen zwischen bildungsaktiven Organisationen wie auch Personen und damit die Bezüge zur Generierung und Nutzung von sozialem Kapital deutlich hervor.

Als Sammelbegriff für komplexe Beziehungs- und Wirkungsmechanismen hält soziales Kapital weiterhin konzeptionelle und methodische Hürden bereit (Haug 2000). Setzt man eine „Sozialkapital-Brille“ auf, so ergeben sich jedoch durchaus einige interessante Ansatzpunkte für die Analyse von sozialen Beziehungen, Netzwerken und deren Wirkungsweisen. Versteht man soziales Kapital in Anlehnung an Sonja Haug als „Gesamtstruktur des Kontaktnetzes, das durch die charakteristische Konstellation die Verfügbarkeit von Ressourcen für einen Einzelnen bestimmt“ (ebd.), geraten einerseits die Organisationen ins Blickfeld, die durch ihre zentrale Position eine Schlüsselstellung im Beziehungsgeflecht einnnehmen, da sie ein wichtiges Bindeglied in den lokalen Bildungsnetzwerken darstellen, indem sie Kontakte herstellen und Zugänge ermöglichen. Andererseits lassen sich aber auch die kaum oder gar nicht eingebundenen Bildungsakteure identifizieren, die durch ihre wenigen Kontakte eher am Rand der bestehenden Beziehungsstrukturen stehen und für die es schwieriger ist von den im Netzwerk verfügbaren Informationen und Ressourcen zu profitieren. Damit stellen sich vor allem Fragen nach der Einbindung, der Zentralität bestimmter Akteure und deren Brückenfunktion zu anderen Organisationen im Netzwerk. Über die Stellung bzw. Position einer Organisation (Zentralität) können dann Zugänge zu Informationen, Kontakten und anderen Ressourcen im Netzwerk hergestellt werden, oder für einen bestehenden Kreis von Organisationen bewahrt werden. So gesehen lässt sich soziales Kapital mit Nan Lin (2017) als Investition in soziale Beziehungen verstehen, durch die sich Zugänge zu den in Netzwerken eingebetteten Ressourcen ergeben. In der ZivilKoop-Studie wurden diese Ressourcen in drei Ausprägungen in den Blick genommen:

1. Informationen: Durch soziale Beziehungen zu Kooperationspartner*innen aus verschiedenen Bereichen können nützliche Informationen erlangt werden, die Handlungsspielräume ermöglichen. Gleichzeitig neigen solche Informationsnetzwerke dazu, sich auf auf einen bestimmten Kreis zu beschränken und neue Kontakte von nützlichen Informationen auszuschließen.

2. Einfluss bzw. Position: Über soziale Beziehungen und die Stellung im Netzwerk kann einerseits Einfluss auf Personen und Organisationen in Entscheidungspositionen genommen werden. Hier sind vor allem die Anbindung und Einbindung von zivilgesellschaftlichen Organisationen an bzw. in die entsprechenden kommunalen Gremien angesprochen. Andererseits kann die Position im Netzwerk auch als Kredit gesehen werden, über soziale Beziehungen Zugänge und Kontakte bieten zu können, die sonst nicht zur Verfügung stehen würden (Brückenfunktion).

3. Gemeinschaft: Soziale Beziehungen haben auch eine identitätsstiftende Wirkung, die sich in Form von gemeinsam umgesetzten Vorhaben positiv auf die Zusammenarbeit auswirken und darüber hinaus das Vertrauen in regionale Kooperations- und Netzwerkpartner*innen stärken kann.

Als vorläufiger Befund lässt sich festhalten, dass große und etablierte zivilgesellschaftliche „Big Player“ wie Trägerorganisationen der Kinder- und Jugendarbeit als auch der Wohlfahrtspflege häufig Schlüsselpositionen in kommunalen Bildungsnetzwerken innehaben. Über hauptamtliches Personal können diese Organisationen ihre Kooperationsbeziehungen pflegen und ihre Netzwerkaktivitäten organisieren. Daneben finden sich aber auch viele kleinere, durch freiwilliges Engagement getragene Vereine sowie Initiativen im kommunalen Bildungsbereich, denen oftmals die personellen Möglichkeiten für die zeitintensive Beziehungsarbeit fehlen und die über ihre wenigen Kontakte einen eingeschränkten Zugang zu bestehenden Netzwerken und deren Ressourcen haben. In kommunalen Bildungsnetzwerken besitzen also von Engagement getragene zivilgesellschaftliche Organisationen häufig eine in gewisser Hinsicht benachteiligte Position.

 

Literatur

Coleman, James S. (1988): Social Capital in the Creation of Human Capital, American Journal of Sociology 94: 95-120.

Granovetter, Mark S. (1973): The Strength of the Weak Ties, American Journal of Sociology 78: 1360-1380.

Haug, Sonja (2000): Soziales Kapital und Kettenmigration, Italienische Migranten in Deutschland, Wiesbaden.

Kommission, Enquete (2002): Bericht, Bürgerschaftliches Engagement, Wiesbaden.

Lin, Nan (2017): Building a Network Theory of Social Capital. In: Lin, Nancy/Cook, Karen S./Burt, Ronald S. (Hrsg.): Social Capital. Theory and Research, London.

Putnam, Robert (2000): Bowling Alone, New York.

Steiner, Christine/Kanamüller, Alexander/Langner, Ronald/Schlimbach, Tabea (2022): Deutsche Bildungslandschaften. In: Bürger & Staat „Öffentliche Infrastrukturen. Politische Gestaltung der vernetzten Gesellschaft“. 72. Jg., H 1/2, S. 63-68. [online unter: https://www.lpb-bw.de/bis]

 

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