18.10.2022
Wie zivilgesellschaftliche Organisationen die Partizipation junger Menschen unterstützen
von Anna Hemann, Tabea Schlimbach und Susanne Steigerwald
Zivilgesellschaftliche Organisationen sind wichtige Partner:innen für die Bildung von Kindern und Jugendlichen. Ihre Aufgabe erschöpft sich allerdings nicht darin, für diese Zielgruppe Angebote zu gestalten. Ein Kernanliegen bei der Unterstützung von Bildungsprozessen ist es, dass junge Menschen „in allen sie betreffenden Belangen mitwirken, mitentscheiden und Verwantwortung übernehmen“ (Fatke 2010) können und sollen. Das zeigen die im Rahmen des ZivilKoop-Projekts geführten Interviews mit Mitarbeitenden von Vereinen, Verbänden, Stiftungen und ehrenamtlichen Initiativen. Unter dem Stichwort der Partizipation verfolgen zivilgesellschaftliche Organisationen in den vier Untersuchungsregionen zahlreiche und vielfältige Ansätze zu mehr Selbstbestimmung und Einmischung ihrer jungen Zielgruppen.
Beteiligung: wie warum, wie viel?
Die in den Interviews angesprochenen partizipativen Formate für Kinder und Jugendliche reichen von erlebnispädagogischen Mitmachaktionen bis hin zu selbstverwalteten Jugendtreffs. Sie lassen sich verschiedenen Stufen von Partizipation zuordnen, die unterschiedliche Beteiligungsgrade repräsentieren (Hart 1992). Die Zivilgesellschaft orientiert sich dabei an den Kenntnissen und Bedürfnissen der Teilnehmenden und verfolgt unterschiedliche Zielstellungen:
Ein Fokus liegt darauf, Kindern und Jugendlichen ein Verständnis für demokratische Prozesse und für ihre Teilhaberechte zu vermitteln sowie Mitwirkungserfahrungen zu ermöglichen. So wird über die Simulation und Exploration von politischen Prozessen Demokratie schon für die Kleinsten greifbar gemacht, und in Kinder- und Jugendstadträten politische Interessenvertretung praktiziert. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Einbindung von jungen Menschen in die Gestaltung ihres Sozialraums. Diesbezügliche Angebote zivilgesellschaftlicher Organisationen orientieren sich an der Lebenswelt der Heranwachsenden und haben meist einen offenen Charakter. Hierzu zählen beispielsweise Stadtjugend-Meetings, die Beteiligung an der konkreten Stadtteilplanung oder die Erstellung von Ortsplänen mit den für die Kinder und Jugendlichen relevanten Orten. Zivilgesellschaftliche Organisationen machen damit die Perspektiven der jungen Menschen auf gemeindespezifische Themen sichtbar. Darüber hinaus bieten beteiligungsorientierte Aktivitäten von Vereinen und Verbänden die Möglichkeit, spezifische Kompetenzen zu erwerben. Über Peer-to-Peer-Angebote wie Monitoring, Gruppenleiterkurse und Barcamps lernen Kinder und Jugendliche beispielsweise, Verantwortung zu übernehmen.
Nicht zuletzt stärken zivilgesellschaftliche Akteure Kinder und Jugendliche dabei, ihre Interessen selbst zu vertreten und sich an kommunalpolitischen Prozessen aktiv zu beteiligen. Hierfür setzen sie auf die Kooperation mit Kommunen und begleiten beispielsweise Jugendparlamente oder Jugendwahlen:
Da haben wir halt wirklich auch mit Verwaltung und Schulsozialarbeitern, die ja auch in den ländlichen Schulen […] vertreten sind, sehr, sehr eng zusammengearbeitet, um dieses Thema der Jugendwahlen auch einfach flächendeckend umzusetzen.
Partizipation braucht Freiräume
Die interviewten Vertretungen der Zivilgesellschaft machen aber auch deutlich, dass die Beteiligung junger Menschen mit Schwierigkeiten verbunden ist. So sei diese beispielsweise auf kommunalpolitischer Ebene zwar gewollt, aber oft nicht konsequent umgesetzt. Kritisch gesehen wird, wenn Kinder und Jugendliche aufgefordert sind, sich zu engagieren, sie aber als politische Partner:innen nicht ernst genommen werden:
Also dass man von den Jugendlichen mehr politische Beteiligung erwartet, auch zum Beispiel Wahlen ab 16 sind ja bei den Kreistagswahlen möglich gewesen, aber man wenig für Jugendliche tut, um die irgendwo zu integrieren bei politischen Veranstaltungen, dass man sie zum Beispiel im Stadtrat nicht gerne sieht, wenn sie sich in den Zuschauerraum setzen, weil sie stören ja vielleicht.
Eine grundsätzliche Herausforderung bestehe darin, einerseits Freiräume zur Entfaltung zu eröffnen, andererseits die Umsetzbarkeit sicher zu stellen und die Bedarfe der jungen Menschen an pädagogischer Anleitung zu erfüllen.
In den Interviews wird auch über die Schwierigkeit berichtet, partizipative Elemente in den Schulkontext zu integrieren. Die eher hierachisch angelegten schulischen Organisationsstrukturen seien nicht auf eine breite Beteiligung ihrer Schülerschaft ausgerichtet. Außerdem seien in der Schule partizipative Formate oft verpflichtend, was dem für Beteiligungsprozesse wichtigen Qualitätskriterium der Freiwilligkeit entgegensteht (Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe 2018).
Zudem wird darauf verwiesen, dass erfolgreiche Partizipation vom Engagement der jungen Menschen abhängt. Für diese müsse die Bilanz zwischen dem Aufwand von Beteiligungsengagement und dem persönlichen Nutzen positiv ausfallen. Dafür sei es wichtig, die Kinder und Jugendlichen in ihrem Lebensalltag abzuholen und die Einstiegsschwelle möglichst niedrig zu halten. So ist es den interviewten Vertretungen der Zivilgesellschaft ein Anliegen, mit ihren Angeboten Kinder und Jugendliche in ländlichen Regionen zu erreichen. Partizipative Ansätze konzentrierten sich oft auf städtische Gebiete, dadurch würden die bildungsbezogenen Ungleichheiten zwischen Stadt und Land zusätzlich verstärkt.
Zivilgesellschaft: mehr als nur ein Sprachrohr für junge Menschen
Bildungsbezogene Teilhabe und Mitbestimmung von jungen Menschen sind also keine Selbstläufer. Die Einschätzungen der Interviewten zeigen, dass die organisierte Zivilgesellschaft ein hohes Bewusstsein für die damit verbundenen Herausforderungen hat. Ferner wird deutlich, dass Zivilgesellschaft viel beitragen kann, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen. Die in den Interviews genannten Beispiele bestätigen zudem Befunde aus der offenen Jugendarbeit, wonach die Offenheit und Flexibilität zivilgesellschaftlicher Strukturen mehr Raum für Beteiligung ermöglichen (Sturzenhecker 2003: 3). Gleichzeitig verweisen die Interviews auf das Potenzial zivilgesellschaftlicher Organisationen, Zukunftsthemen in den kommunalen Bildungsdiskurs einzubringen, die für junge Menschen von hoher Relevanz sind. Hierbei betonen die Interviewten aber auch, dass es zwar wichtig, jedoch nicht ausreichend ist, wenn Erwachsene als Sprachrohr für junge Menschen fungieren:
Also wir haben ja immer nur Annahmen und Vermutungen, was wir glauben. Aber was junge Menschen wirklich wollen, das hinzukriegen, da können wir, glaub ich, noch besser werden.
Zusammenfassend verdeutlichen die hier für den Bildungskontext vorgestellten Ergebnisse, dass die organisierte Zivilgesellschaft Brücken schlagen kann zwischen der Politik und den jungen Menschen, indem sie deren aktive und selbstbestimmte Teilhabe einfordert, ermöglicht, aber auch kritisch reflektiert.
Literatur
Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (2018): Partizipation im Kontext von Kinder- und Jugendarbeit – Voraussetzungen, Ebenen, Spannungsfelder. Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, Berlin (zuletzt aufgerufen am 06.10.2022).
Fatke, Reinhard (2010): Kinder- und Jugendpartizipation im wissenschaftlichen Diskurs. In: Koopmann, Klaus (Hrsg.): Kinder und Jugendbeteiligung in Deutschland: Entwicklungsstand und Handlungsansätze, Gütersloh: Verl. Bertelsmann-Stiftung.
Hart, Roger (1992): Children’s Partizipation. From Tokenism to Citizenship, Innocenti Essays, UNICEF International Child Development Centre, Florence (zuletzt aufgerufen am 06.10.2022).
Sturzenhecker, Benedikt (2003): Partizipation in der Offenen Jugendarbeit (zuletzt aufgerufen am 06.10.2022).