09.08.2021
Zivilgesellschaftliches Engagement in Zeiten der Corona-Pandemie
von Alexander Kanamüller und Teresa Döbel
Der vorliegende Blog-Beitrag ist das Ergebnis unserer ersten gemeinsamen digitalen Arbeitsphase mit unseren Praxispartner*innen im Login-Bereich des ZivilKoop-Blogs. Unsere Praxispartner*innen hatten im April und Mai 2021 die Möglichkeit, die hier vorgestellten Ergebnisse kritisch zu hinterfragen, ergänzende Hinweise sowie neue Denk- und Interpretationsanstöße zu geben. Die Ergebnisse dieser partizipativen Forschungsphase sind in den Blog-Beitrag eingeflossen. Vielen Dank an unsere Praxispartner*innen für ihre Beteiligung an unserer Forschung!
Die Corona-Pandemie nimmt Einfluss auf sämtliche Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens. Alle Teilbereiche der Gesellschaft sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Auch im Bildungsbereich engagierte zivilgesellschaftliche Organisationen stehen vor neuen Problemen und Herausforderungen. Welche dies sind, war Teil einer Studie des Forschungs- und Beratungshauses ZiviZ im Stifterverband (Krimmer et al. 2020).
Im Rahmen dieser Studie wurden von 16. bis 30. April 2020 45 Interviews mit Vertreter*innen der Leitungsebene von zivilgesellschaftlichen Organisationen durchgeführt. Der Fokus der Interviews lag auf den zehn größten Bereichen des zivilgesellschaftlichen Engagements in Deutschland, dazu zählen u.a. Sport oder auch die Bereiche Kultur und Soziales. Auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen aus dem Bildungsbereich kamen dabei zu Wort und konnten über ihre durch die Corona-Pandemie bedingten Herausforderungen und Sorgen berichten.
Im Wesentlichen konnten die Autor*innen der ZiviZ-Studie drei Problemfelder der organisierten Zivilgesellschaft identifizieren: Finanzierung, Digitalisierung und damit einhergehend neue Rollenanforderungen an Leitungskräfte.
Hinsichtlich der Finanzierung stuft die Mehrheit der Organisationen ihre finanzielle Lage als stabil ein, äußern jedoch auch die Sorge, in fernerer Zukunft mit Finanzierungsproblemen konfrontiert zu sein. Als mögliche Gründe werden hierfür unter Umständen drohende Mitgliederschwünde sowie das Wegfallen von Spenden und Sponsoring-Partner*innen aufgeführt.
Als weitere zentrale Herausforderung nennen die befragten zivilgesellschaftlichen Akteur*innen die durch die Pandemie erzwungene Digitalisierung ihrer Arbeits- und Kommunikationszusammenhänge. Auch in unserer digitalen Arbeitsphase wurde darauf hingewiesen, dass viele Engagierte das Fehlen persönlicher Kontakte als Verlust erleben, der durch digitale Formate nur bedingt ausgeglichen werden kann. Zudem – so ein weiteres Ergebnis der ZiviZ-Studie – führen die mit der Digitalisierung einhergehenden Fragen des Datenschutzes häufig zu Überforderung und Ratlosigkeit. Der Beratungsbedarf ist dementsprechend hoch. Viele Befragte äußern auch den Wunsch nach öffentlich zugänglichen Überblickswissen und Orientierungshilfen.
Des Weiteren verändert die Digitalisierung des zivilgesellschaftlichen Engagements das Anforderungsprofil von Führungspositionen in zivilgesellschaftlichen Organisationen. Skills, die nun bedeutender werden, sind Technikkompetenz, Motivationsfähigkeit und Kommunikation. Diesbezüglich wurde ergänzend in unserer digitalen Arbeitsphase angemerkt, dass die Corona-Pandemie hier wohl vor allem als Katalysator für bestimmte Problematiken fungiert: Skeptische Haltungen in Bezug auf Technik und Digitalisierung oder auch nicht vorhandene Absprachen respektive Informationsflüsse treten nun besonders deutlich hervor.
Kommunale Bildung und Corona
Neben diesen zentralen Herausforderungen befürchten einige Befragte der ZiviZ-Studie, dass speziell im Bildungsbereich viele Engagierte Teil der sogenannten Risikogruppe sind, also zu jenem Teil der Bürger*innen gehören, für die eine Corona-Infektion besonders gefährlich ist. Damit sind vor allem Senior*innen gemeint, von denen ein großer Teil des zivilgesellschaftlichen Engagements im Bildungsbereich getragen wird. Aufgrund dieses erhöhten Risikos müssen häufig Bildungsangebote ausfallen, da es zivilgesellschaftlichen Organisationen im Bildungsbereich oftmals an Know-How und Ressourcen fehlt, um Bildungsangebote digitalisieren zu können. Gelingt die Digitalisierung von Bildungsangeboten, so bringt dies aber wiederum für die Zielgruppe junger Menschen ein weiteres Problem mit sich: Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sehen das Dilemma, dass Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien seltener an digitalen Angeboten teilnehmen können und sich somit soziale Bildungsungleichheiten manifestieren und verstärken.
Diese Einschätzung findet sich auch bei Vertreter*innen der Kommunalverwaltung wieder. Darauf verweist eine erste Sichtung der Interviews, die das ZivilKoop-Team im Herbst 2020 mit Vertreter*innen der Verwaltungen seiner vier Partnerkommunen führte. So sagt eine interviewte Person:
„Und natürlich muss man auch wissen, dass die digitale Infrastruktur halt auch noch nicht überall zuhause ist. Und dass, dass einfach bestimmte Gruppierungen, Menschen dann einfach abgehängt werden im digitalen Raum und gar nicht mehr da sind.“
Andere Interviewpartner*innen betonen darüber hinaus, dass eine gute technische Ausstattung allein noch nicht zu guter digitaler Bildung führt. Sie sehen wesentliche Barrieren bei mangelnden Medienkompetenzen der Kinder, ihrer Familien und der Lehrkräfte:
„Wir haben eine Lehrergeneration, die eben auch nicht mehr so ganz jung ist, zumindest hier in [Stadt], und wenn wir die nicht von der pädagogischen Seite her für die Digitalisierung des Unterrichts gewinnen können, dann nützt uns auch die beste technische Ausstattung nichts.“
„Und ist auch nicht damit getan, dass, wenn ich allen ein Laptop oder einen Computer zur Verfügung stelle, deswegen können sie die Hausaufgaben trotzdem nicht machen, […] weil sie zu Hause keinen haben, den sie fragen können. Und weil die Unterstützung aus dem Elternhaus unter Umständen nicht gegeben ist, ne?“
Trotz all dieser Herausforderungen und Probleme, mit denen zivilgesellschaftliche Akteur*innen in Zeiten der Corona-Pandemie konfrontiert sind, scheint diese Krise auch einen positiven Nebeneffekt mit sich zu bringen. So entstehen in kommunalen Bildungslandschaften zum Teil auch Netzwerke und Kooperationsbeziehungen, die ohne die Krise wohl nicht realisiert worden wären. Darauf verweist ein weiterer Ausschnitt aus einem unserer im Herbst geführten Interviews:
„Also wir stellen fest, dass sich im Moment Netzwerke gründen lassen, die wir vorher so nie zusammengebracht hätten, weil wir sagen, dass ist jetzt mal ein Corona Special, eine Task Force, und wir müssen aus allen Richtungen darüber nachdenken, wie Bildungsarbeit in der jetzigen Zeit funktionieren kann. […] das sind Dinge, die hätten wir früher nicht geschafft, wenn wir nicht dazu gezwungen wären, grade ein bisschen um die Ecke zu denken. Also es gibt auf jeden Fall Chancen dadurch.“
In der digitalen Arbeitsphase mit unseren Praxispartner*innen wurde aber auch darauf hingewiesen, dass dieser positive Nebeneffekt eventuell nur kurzfristig ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese neuen Strukturen verstetigen und auch nach der Krise noch als relevant erachtet werden.
Dennoch lässt sich in Summe festhalten, dass die Corona-Pandemie für die organisisierte Zivilgesellschaft nicht nur Herausforderungen mit sich bringt, sondern auch die Chance birgt, sich intensiver untereinander sowie mit kommunalen Akteur*innen zu vernetzen. Inwiefern diese Chance in der Praxis genutzt wird und wie somit zivilgesellschaftliche Organisationen Wege finden, mit der durch die Corona-Pandemie bedingten neuen Situation kreativ und kooperativ umzugehen, ist eine spannende Frage. In unserer aktuell laufenden Interview-Studie mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen werden wir u. a. versuchen, auf diese Frage Antworten zu finden.
Weitere Ergebnisse aus unseren Kommunalinterviews zum Thema zivilgesellschaftliche Organisationen und Corona präsentieren wir auf der diesjährigen ESA Conference.
Literatur
Krimmer, H.; Bork, M.; Markowski, L.; Gorke, J. (2020): Lokal kreativ, finanziell unter Druck, digital herausgefordert. Die Lage des freiwilligen Engagements in der ersten Phase der Corona Krise. Herausgeber: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.