Zivilgesellschaftliche Organisationen und Kooperationsverträge

21.03.2022

Also je klarer Sachen sind, desto besser. Aber es muss halt auch jemand schreiben“ – Zivilgesellschaftliche Perspektiven auf schriftliche Kooperationsvereinbarungen

von Alexander Kanamüller

Für jede:n von uns gehört das Zusammenarbeiten respektive das Kooperieren mit anderen zum Alltag, sei es in der Familie, in der Schule, in der Ausbildung oder im Beruf. Zumeist klappt die Zusammenarbeit mit anderen auch. Gibt es jedoch Probleme, dann wird deutlich, wie voraussetzungsreich Kooperationen eigentlich sind.

Kooperationsbeziehungen sind also keine Selbstläufer. Und die Sache wird in der Regel noch komplizierter, wenn es sich bei den Kooperationsparter:innen nicht um Personen, sondern um Organisationen handelt. Bei interinstitutionellen Kooperationsbeziehungen müssen erwartungsgemäß mehr Dinge bedacht, ausgehandelt, kommuniziert und aufeinander abgestimmt werden, soll die Kooperation erfolgreich sein. Zudem funktionieren interorganisationale Kooperationsbeziehungen nur dann, wenn sich die Kooperationspartner:innen wechselseitig vertrauen – eine Gelingensbedingung, die sich auch nicht durch gegenseitige Kontrolle ersetzen lässt (vgl. van Santen & Seckinger 2011).

Dass das Funktionieren von interorganisationalen Kooperationsbeziehungen recht voraussetzungsreich ist, zeigt sich beispielsweise an der Zusammenarbeit von Ganztagsschulen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Wie Bettina Arnoldt in ihrem Beitrag für den ZivilKoop-Blog deutlich macht, besteht bei diesen Kooperationen häufig das Problem, dass die zumeist durch ehrenamtliches Engagement getragenen Organisationen lediglich für die Durchführung von Angeboten monetär honoriert werden. Tätigkeiten, die für eine gelingende Kooperation wichtig sind, wie beispielsweise ein Austausch oder Absprachen mit dem Lehrpersonal der Ganztagsschulen, sind hierbei jedoch nicht mitinbegriffen. Demzufolge kann es nach Arnoldt in diesem Fall für die Zivilgesellschaft gewinnbringend sein, beim Anbahnen einer Kooperation mit einer Ganztagsschule genau diesen Bereich im Blick zu haben und in der Kooperationsbeziehung zu verankern, beispielsweise durch das Ausformulieren und Abschließen einer schriftlichen Kooperationsvereinbarung (vgl. Arnoldt 2020).

Eine schriftliche Kooperationsvereinbarung ist ein Instrument, mit dessen Hilfe die Rahmenbedingungen, der Zweck und die Inhalte einer interinstitutionellen Kooperationsbeziehung sowie die damit verbundenen Aufgaben und Erwartungen der Kooperationspartner:innen genau definiert und für alle beteiligten Personen transparent gemacht werden können (vgl. Schmitt 2008). Es handelt sich also um ein schriftlich fixiertes Fundament der Zusammenarbeit.

So weit, so sinnvoll. Bei aller Strahlkraft schriftlicher Kooperationsvereinbarungen dürfen jedoch zwei Dinge nicht vergessen werden: Erstens sind Kooperationsverträge kein Ersatz und auch kein Garant für wechselseitiges Vertrauen. Das für funktionierende interorganisationale Kooperationsbeziehungen notwendige Vertrauensverhältnis ist also nicht schon allein deshalb gewährleistet, weil der Zusammenarbeit eine schriftliche Kooperationsvereinbarung zugrunde gelegt wurde. Vielmehr muss Vertrauen in einer Kooperation immer wieder durch positive Erfahrungen bestätigt und gesichert werden (vgl. van Santen & Seckinger 2003). Und zweitens sollte man im Hinterkopf behalten, dass das Ausarbeiten und Abschließen von Kooperationsverträgen viel Arbeit bedeutet (vgl. Bathke 2011). Kooperationsvereinbarungen benötigen also gewisse zeitliche sowie personelle Ressourcen und sind somit voraussetzungsreich. Nimmt man die Perspektive zivilgesellschaftlicher Organisationen ein, so folgt daraus, dass sich wohl nicht jede Organisation das Ausarbeiten und Abschließen von schriftlichen Kooperationsverträgen „leisten“ kann. Vor allem für rein durch freiwilliges Engagement getragene Organisationen dürften die zeitlichen und personellen „Kosten“ hier meist zu hoch ausfallen. Die Daten unseres ZivilKoop Online-Surveys bestätigen diese Vermutung: Organisationen mit haupt- / nebenberuflichen Mitarbeiter:innen schließen deutlich häufiger einen Kooperationsvertrag ab als Organisationen mit ausschließlich freiwilligen / ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen (siehe Abbildung 1). Wie in der Abbildung ersichtlich, haben etwas mehr als ein Drittel der rein durch freiwilliges / ehrenamtliches Engagement getragenen Organisationen mindestens eine schriftliche Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Bei den Organisationen mit haupt- / nebenberuflichen Mitarbeiter:innen fällt der entsprechende Anteil mit knapp 62 Prozent bedeutend höher aus.

Abbildung 1: Ausschließlich durch freiwilliges / ehrenamtliches Engagement getragene zivilgesellschaftliche Organisationen schließen bedeutend seltener schriftliche Kooperationsvereinbarungen ab (ZivilKoop Online-Survey)

Anhand unserer Interviews mit Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen kann dieser Zusammenhang nun noch eingehender beschrieben und besser verstanden werden.

Zunächst einmal bestätigen die Ausführungen unserer Interviewpartner:innen die oben aufgestellte Vermutung, wonach das Ausarbeiten und Abschließen einer schriftlichen Kooperationsvereinbarung für zivilgesellschaftliche Organisationen mit geringen personellen Ressourcen durchaus eine (zu hohe) Arbeitsbelastung darstellen kann. Die Vorteile von Kooperationsverträgen werden zwar gesehen, die Arbeit, die dafür nötig ist, möchte man jedoch aufgrund fehlender zeitlicher und personeller Ressourcen lieber vermeiden. Konstruktive und transparente Gespräche zu Beginn einer Kooperationsbeziehung werden somit häufig als ausreichender Grundstein für eine verlässliche Zusammenarbeit angesehen. Dies macht beispielsweise das folgende Zitat deutlich:

Also je klarer Sachen sind, desto besser. Aber es muss halt auch jemand schreiben. […] Und da wir hart an der Grenze der absoluten Prekarität vorbei schrammen […] können Sie sich vorstellen, dass ich nicht so viel Bock habe drauf, diesen Papierkram dann auch noch mir überzustülpen. Das heißt, wenn es, und man braucht ja eh vorher ein Gespräch, was man anbietet oder was man nicht anbietet. Wenn es bei dem Gespräch bleiben kann und es für beide Seiten gut ist, ist mir das immer der liebere Weg.

Ferner zeigt sich in unseren Interviews, dass fehlende personelle Ressourcen für zivilgesellschaftliche Organisationen darüber hinaus auch einen Grund darstellen können, gewisse schriftliche Kooperationsvereinbarungen per se abzulehnen. Die organisationalen Rahmenbedingungen würden es nicht erlauben, vertraglich fixierte Verpflichtungen zu bestimmten Leistungen einzugehen. So gibt ein:e Vertreter:in eines rein ehrenamtlich getragenen Vereins zu verstehen, dass die Freiwilligenstruktur des Vereins es unmöglich mache, in Kooperationsbeziehungen mit bindenden Verträgen zu arbeiten, auch weil die Engagierten einen Beruf ausüben oder studieren würden. Der Verein habe dadurch schlicht und einfach keine verlässlichen Kapazitäten für vertraglich verbindliche Leistungen, die in regelmäßigen Abständen gewisse personelle und zeitliche Ressourcen erforden. Entsprechende schriftliche Kooperationsvereinbarungen könne und wolle man daher auch nicht abschließen:

[…] wir können nicht sagen: „Wir leisten jetzt“, was weiß ich, „zwei oder drei, vier Stunden in der Woche machen wir irgendwas.“ Das, das geht nicht! Also das ist äh, geht von uns organisatorisch nicht, weil äh, wie schon gesagt, die Leute, die arbeiten bei uns oder es sind halt irgendwie Studenten […] so äh uns zu irgendwas verpflichten vertraglich, wird, wird extrem schwierig. Wollen wir auch nicht. Können wir nicht, können wir nicht abbilden.

Fassen wir zusammen: Schriftliche Kooperationsvereinbarungen sind ein Instrument, mit dem interorganisationale Kooperationsbeziehungen genau definiert und für alle an der Kooperation beteiligten Personen transparent gestaltet werden können. Sie sind jedoch kein Ersatz und auch keine Garantie für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die für das Gelingen von interinstitutionellen Kooperationsbeziehungen unabdingbar ist. Zudem sind Kooperationsverträge voraussetzungsvoll. Sie erforden zeitliche und personelle Ressourcen. So schließen beispielsweise rein durch freiwilliges Engagement getragene zivilgesellschaftliche Organisationen bedeutend seltener eine Kooperationsvereinbarung ab als Organisationen mit haupt- / nebenberuflichen Mitarbeiter:innen. Zivilgesellschaftliche Akteur:innen mit geringen personellen Ressourcen berichten insofern auch teilweise davon, dass das Ausarbeiten und Abschließen von Kooperationsverträgen für diese eine (zu hohe) Arbeitsbelastung darstellt. Diesen Organisationen ist es dementsprechend mitunter lieber, wenn eine Kooperationsbeziehung ohne schriftliche Kooperationsvereinbarung auskommt. Darüber hinaus zeigen unsere Interview-Daten, dass Kooperationsverträge seitens der organisierten Zivilgesellschaft auch von Grund auf abgelehnt werden können. Und zwar dann, wenn der Inhalt einer Vereinbarung in regelmäßigen Abständen zu bestimmten Leistungen verpflichtet und diese Leistungen mit personellen und zeitlichen Ressourcen einhergehen. Erklärt wird diese Haltung mit der Organisationsstruktur. So können beispielsweise bei rein ehrenamtlich getragenen Organisationen die personellen Ressourcen als so gering empfunden werden, dass man es als unmöglich erachtet, sich vertraglich zu bestimmten Leistungen zu verpflichten.

Wie sind diese Ergebnisse einzuordnen? Betrachtet man die oben bereits thematisierten Kooperationen von Ganztagsschulen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, so fällt auf, dass schriftliche Kooperationsvereinbarungen in der wissenschaftlichen Diskussion mitunter als Qualitätskriterium für diese Art von Kooperationsbeziehung herangezogen werden (vgl. Arnoldt 2011). Die hier präsentierten Befunde stellen dieses Kriterium in Frage. Aus zivilgesellschaftlicher Perspektive kann es gute Gründe dafür geben, keine schriftliche Kooperationsvereinbarung abzuschließen. Und dass Kooperationen von Schulen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen auch ohne Verträge gut funktionieren können, zeigen unsere Interviews. So berichten die beiden oben zitierten Interviewpartner:innen, dass ihre jeweilige Organisation erfolgreich und vertrauensvoll mit Schulen zusammenarbeitet.

 

Literatur

Arnoldt, Bettina (2011): Kooperationen zwischen Ganztagsschulen und außerschulischen Partnern, Entwicklung der Rahmenbedingungen. In: Fischer, Natalie/Holtappels, Heinz Günter/Klieme, Eckhard/Rauschenbach, Thomas/Stecher, Ludwig/Züchner, Ivo (Hrsg.): Ganztagsschule: Entwicklung, Qualität, Wirkungen, Längsschnittliche Befunde der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG), Weinheim.

Arnoldt, Bettina (2020): Zivilgesellschaftliche Akteure in der Kooperation mit Ganztagsschulen, Blog-Beitrag, ZivilKoop-Blog.

Bathke, Sigrid A. (2011): Kooperationsvereinbarungen zwischen Jugendhilfe und Schule. In: Fischer, Jörg/Buchholz, Thomas/Merten, Roland (Hrsg.): Kinderschutz in gemeinsamer Verantwortung von Jugendhilfe und Schule, Wiesbaden.

Santen, Eric van/Seckinger, Mike (2003): Kooperation: Mythos und Realität einer Praxis, Eine empirische Studie zur interinstitutionellen Zusammenarbeit am Beispiel der Kinder- und Jugendhilfe, München: Deutsches Jugendinstitut.

Santen, Eric van/Seckinger, Mike (2011): Die Bedeutung von Vertrauen für interorganisatorische Beziehungen – ein Dilemma für die soziale Arbeit, Zeitschrift für Sozialpädagogik 4 (9), 387-404.

Schmitt, Christof (2008): Kooperationsvereinbarungen als Baustein gelingender Kooperationen. In: Henschel, Angelika/Krüger, Rolf/Schmitt, Christof/Stange, Waldemar (Hrsg.): Jugendhilfe und Schule, Handbuch für eine gelingende Kooperation, Wiesbaden.

 

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